Versicherungsfremde Leistungen

„Auf den alten `Verschiebebahnhöfen` wird weiter fleißig rangiert“

Wenn Wolf Zimmermann auf 27 Jahre als Verwaltungsrat bei der IKK blickt, dann treiben ihn - damals wie heute – die grundsätzlichen, auch kritischen Fragen unseres sozialen Miteinanders um.

„Versicherungsfremde Leistungen“ zum Beispiel sind von jeher ein Reizthema. Dahinter verbirgt sich eine schwer durchschaubare Finanzierungspraxis des Gesetzgebers, wenn er z.B. Beitragszahlern der Gesetzlichen Krankenversicherung (GKV) Kosten aufbürdet, für die eigentlich die Steuerzahler, also wir alle, zuständig wären.

An unserem Sozialstaat schätzen wir umfassende Sicherheit, mit einer guten gesundheitlichen Versorgung, einem Berufsleben mit Absicherung im Notfall und einem entspannten Ruhestand dank auskömmlicher Rente. Krankenversicherung, Arbeitslosenversicherung und Rentenversicherung markieren also nicht umsonst die drei Säulen unserer Sozialversicherung. Um deren Inhalte und Weiterentwicklung ringt die Politik allerdings von jeher.

Der Finanzbedarf ist stets immens,– und irgendwo muss immer eine Finanzierungslücke schnell geschlossen werden. Geldreserven wecken daher schnell Begehrlichkeiten und so werden immer wieder Kosten vom einen in den anderen Sozialsektor verlagert, „versicherungsfremde Leistungen“ vom Beitragszahler mitfinanziert.

Ein aktuelles Gutachten der Hans-Böckler-Stiftung stellt u.a. am Beispiel Krankenversicherung dar, wie das funktioniert:

Soziale „Verschiebebahnhöfe“ dieser Art summieren sich, wie Zahlen zur Krankenversicherung für 2016/17 beispielhaft belegen:

Familien- und Arbeitspolitik bei der Krankenkasse?

Beitragsfrei mitversicherte Kinder und Jugendliche z.B. kosten die Beitragszahler der Krankenkassen jährlich 17,4 Mrd. Euro, mitversicherte Ehegatten der Mitglieder 8,8 Mrd. und mitversicherte Ehegatten der Rentner 5,2 Mrd. Euro. Macht summa summarum 36,6 Mrd. Euro für Leistungen, die nicht Aufgabe der Krankenkassen sind.

Ähnlich kompliziert ist die Finanzierung für die Versorgung von ALG II-Empfängern. Wie lässt sich vereinbaren, dass Krankenkassen für diese Versichertengruppe einen Beitrag von nur etwa 90 Euro monatlich erhalten, weit unter den tatsächlich anfallenden Kosten? Auch dies ist eine versteckte Verlagerung sozialer Aufgaben, denn die Differenz geht zu Lasten der Krankenkassenmitglieder, obwohl hier Steuermittel eingesetzt werden müssten.

Der seit Jahrzehnten praktizierte, unklare Umgang mit Beitragsgeldern sorgt bei den Selbstverwaltern der IKK BB regelmäßig für Diskussionen. Wolf Zimmermann, alternierender Vorsitzender des Grundsatzausschusses, stellt klar: „Wir lehnen diese Verschiebebahnhöfe vehement ab. Beitragsgelder fließen für versicherungsfremde Leistungen und fehlen heute und morgen für den Ausbau wichtiger Versorgungsbereiche bei Krankheit und Pflege.“

Sorge bereitet auch der Einfluss dieser Kosten auf den Beitragssatz, denn, so das Gutachten, ohne die Mitfinanzierung sozial- und familienpolitischer Aufgaben könnte der Krankenkassenbeitrag um rund 2,2 Beitragspunkte sinken.

Was sind „versicherungsfremde Leistungen“?

  • Eigentlich finanziert die jeweilige Versichertengemeinschaft per Beitrag die einzelnen Sozialversicherungen und erhält im Gegenzug den dafür versprochenen Schutz.
  • Die „solidarische Krankenversicherung hat z.B. die Aufgabe, die Gesundheit der Versicherten zu erhalten, wiederherzustellen oder ihren Gesundheitszustand zu verbessern, finanziert durch Beiträge der Mitglieder und Arbeitgeber und durch Bundeszuschüsse“.
  • Der Bund zahlt zudem jährlich eine Pauschale an die Kassen, damit sie – nicht näher definierte oder berechnete - „versicherungsfremde“ Leistungen mitfinanzieren können.
  • Ein klassischer Fall: Wenn es statt um Krankheit um Familie geht, dann handelt es sich um eine gesamtgesellschaftliche Aufgabe, die eigentlich aus Steuermitteln finanziert werden müsste. 

Versicherungsfremde Leistungen – kompliziert, aber mit gehöriger Sprengkraft. 

Die Böckler Stiftung erklärt es hier ebenfalls.

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